Die Lieferkettenprobleme im Zuge der COVID-19 Pandemie als auch des ungerechtfertigten Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine und die damit einhergehenden ökonomischen – aber auch sozialen und humanitären – Auswirkungen und Sanktionsmaßnahmen haben die Abhängigkeiten hinsichtlich der Importe von Vorleistungsprodukten vor allem aus dem Nicht-EU Ausland schmerzhaft deutlich gemacht. Die zukünftige geo-politische und -ökonomische Entwicklung ist jedenfalls unsicherer denn je, worauf es Antworten zu finden gilt. Das wirft zunächst die Frage auf, wie groß der Anteil der Vorprodukte ist, die aus Nicht-EU27 Ländern importiert werden. Dies wird in diesem Beitrag zunächst mit Daten aus dem Jahr 2018 gezeigt, wobei natürlich derzeitige Veränderungen – insbesondere hinsichtlich der Rolle Russlands – nicht berücksichtigt werden konnten. Wie Abbildung 1 zeigt, reicht der Anteil der aus Nicht-EU27 Ländern importierten Vorleistungsprodukten von 33% in Irland bis zu 7% in Rumänien. Für Österreich beträgt dieser Anteil etwa 10%.
Der Anteil der importierten Vorleistungen aus Russland liegt bei den meisten Ländern unter 4% (des gesamten Vorleistungsverbrauchs) und ist nur für Litauen und Bulgarien mit etwa 10% wesentlich höher. Österreich hat aus dieser makroökonomischen Sicht mit etwa 0,5% eine eher geringe Abhängigkeit von Russland zu verzeichnen. Der Anteil Chinas bei den Vorleistungsprodukten liegt für die meisten Länder ebenfalls in etwa dieser Größenordnung. Estland, Ungarn, oder Tschechien liegen hier mit Werten bis etwa 2,5% an der Spitze. Für Österreich liegt der Wert der importierten Güter aus China bei etwa 1%. Betrachtet man die EU27 als ein Land stammen gemäß dieser Daten fast 12% der verwendeten Vorleistungen aus dem Ausland, davon 1% aus Russland und 1,2% aus China.
Betrachtet man nur die Importe von Vorleistungsgütern aus Nicht-EU27 Ländern (Abbildung 2) zeigt sich, dass etwas mehr als 40% aus den USA, dem Vereinigten Königreich, Schweiz, Japan und Norwegen stammen. China mit 11% und Russland mit 9% weisen ebenfalls größere Anteile auf. Diese sieben Länder machen somit etwa 60% der importierten Vorleistung Europas aus. Indien, Türkei, Singapur und Korea haben Anteile von etwa 2%. 24 der 64 in den Daten enthaltenen Länder haben weniger als 1% Importanteil.
Allerdings kann schon das Fehlen einzelner Produkte Produktionsprozesse lahmlegen oder zumindest verzögern. Bekannte und derzeit akute Beispiele dafür sind die Importabhängigkeit vom russischen Gas, besonderen Rohstoffen wie Palladium oder Nickel oder auch komplexeren Produkten wie Kabelbäumen, die aufgrund des Angriffskrieges Russlands in der Ukraine nicht mehr produziert werden können.
Legt man den Fokus auf den Güterhandel zeigt eine Auswertung detaillierter Handelsdaten (UN COMTRADE HS96, Durchschnitt der Jahre 2018-2020), dass bei fast 140 Produkten (von mehr als 5.000) der Importanteil aus einem Land bei mehr als 90% liegt. Setzt man die Grenze mit 75%, sind es bereits fast 600 Produkte, die einen hohen Konzentrationsanteil aufweisen. Abbildung 3 zeigt die Abhängigkeiten von einzelnen Partnerländern nach Produkten für die wichtigsten Importpartner. Beispielsweise hat China bei 34 Produkten einen Importanteil von mehr als 90% und bei 205 Produkten von mehr als 75%.
Die rezente Diskussion über Risiken, Resilienz und Robustheit von Wertschöpfungsketten zeigt einerseits die vielfältigen Formen von potenziellen Schocks auf, wobei angebotsseitige Versorgungsengpässe, nachfrageseitige Einbrüche oder plötzliche Anstiege sowie Unterbrechungen der Transportwege als wichtigste genannt werden. Gegeben diese unterschiedlichen potenziellen Ursachen für Störungen in den Wertschöpfungsketten gestalten sich auch die wirtschaftspolitischen und firmenspezifischen Maßnahmen unterschiedlich je nach Produkt, Herkunftsland oder -region und Wichtigkeit betreffend Produktionsprozesse und gesamtwirtschaftliche Notwendigkeiten. Diese reichen von Diversifikationsstrategien hinsichtlich Anbieter und Transportwege, Aufbau oder Erhaltung redundanter Produktionskapazitäten, Bevorratung und Maßnahmen zur Verbesserung der Information bezüglich Struktur und Transparenz von Lieferketten (z.B. Stress-Tests von Lieferketten). Empirische Analysen und wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen sind aufgrund der unsicheren und risikoreichen zukünftigen Entwicklungen notwendiger denn je.
Autor: Univ.-Doz. Dr. Robert Stehrer (wiiw)
Robert Stehrer ist wissenschaftlicher Leiter am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Seine Expertise deckt ein breites Feld der Wirtschaftsforschung ab, das von Fragen der internationalen Integration, des Handels und der technologischen Entwicklung bis hin zu Arbeitsmärkten und angewandter Ökonometrie reicht. Seine jüngsten Arbeiten konzentrieren sich auf die Analyse und die Auswirkungen der Internationalisierung der Produktion und des Wertschöpfungshandels. Weitere Beiträge beziehen sich auf den Zusammenhang von Digitalisierung, Demographie, Produktivität und Arbeitsmärkte. Er studierte Volkswirtschaft an der Johannes Kepler Universität und Soziologie am Institut für Höhere Studien (IHS) und ist Lektor für Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) und der Technischen Universität Wien (TU Wien).