FIW-Spotlight: Außenhandelsprognose: Einbruch der Dynamik der Warenexporte im Winterhalbjahr 2022/23 zu erwarten

Die internationalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich seit Jahresbeginn 2022 vor allem aufgrund der Folgewirkungen des Russland‑Ukraine‑Konflikts deutlich verschlechtert und den Ausblick für die Weltwirtschaft und den Welthandel erheblich eingetrübt. Der Energiepreisschock und der massive Preisauftrieb  sowie die Unsicherheit über die Verfügbarkeit von Gas führen vor allem zu Verwerfungen in der Sachgütererzeugung und verschärfen die angebotsseitigen Verknappungen durch Lieferengpässe und die Nachwirkungen der COVID-19-Pandemie. Das Konsumentenvertrauen und die Produktionserwartungen der Unternehmen sinken weltweit, am stärksten im Euro‑Raum.

Die heimische Sachgütererzeugung und insbesondere die Exportwirtschaft erwiesen sich im ersten Halbjahr 2022 angesichts der negativen Einflüsse massiver Teuerungen von Rohstoffen und Energie, der Arbeitskräfteknappheit, von Lieferengpässen und hoher Unsicherheit als sehr robust. Der österreichische Warenexport expandierte im ersten Halbjahr 2022 kräftig, mit einem äußerst dynamischen Wachstum im 1. Quartal 2022, das sich – trotz des Beginns der Russland‑Ukraine‑Krise im März 2022 – nur leicht abgeschwächt im 2. Quartal 2022 fortsetzte. Der Zuwachs der Exporte von Waren erreichte bis zum Juni 2022 19,2% zu laufenden Preisen (nominell) und 14,1% zu konstanten Preisen (real). Der wachsende Abstand der nominellen zur realen Entwicklung spiegelt die steigenden Exportpreise wider. Die österreichische Entwicklung der Warenexporte wurde von kaum einem anderen EU‑Land übertroffen. Deutschland, Frankreich und Italien verzeichneten einen deutlich geringeren Zuwachs, langsamer als in Österreich wuchsen aber auch die Warenexporte vieler kleinerer europäischer Vergleichsländer wie Schweden, Finnland oder Niederlande.

Industrielle Vorprodukte ("bearbeitete Waren") lieferten bisher einen der höchsten Wachstumsbeiträge zum Gesamtexport von Waren. Dies war eine Folge der noch stabilen Industrieproduktion durch eine erhöhte Produktion auf Lager bei den wichtigen Handelspartnerländern, um drohenden Ausfällen von Energielieferungen und weiteren Preissteigerungen zu entgehen. Der ebenfalls hohe Wachstumsbeitrag des österreichischen Maschinenexports ist insbesondere auf die starke Nachfrage aus den USA zurückzuführen. Auch der hohe Auftragsbestand der deutschen Investitionsgüterindustrie trug zum Wachstum der Maschinenexporte Österreichs bei. Der Beitrag von Energie- und Rohstoffexporten ist hauptsächlich preisgetrieben und weniger auf eine Ausweitung der Exportmengen zurückzuführen. Die sonst so wichtige österreichische Kfz- und Autozulieferindustrie trug kaum zum Exportwachstum bei. Dies steht in engem Zusammenhang mit der Krise in der deutschen Automobilindustrie.

Die Vorlaufindikatoren, die bis zum Ende des 2. Quartals 2022 auf hohem Niveau lagen, deuten mittlerweile auch in Österreich auf eine kräftige Abschwächung der Exportdynamik in der zweiten Jahreshälfte 2022 hin. Im WIFO‑Konjunkturtest beurteilen die Exporteure die Auftragsbestände aus dem Ausland zwar weiterhin überwiegend positiv, der Anteil positiver Meldungen hat sich aber seit Juni 2022 deutlich verringert. Die Exporterwartungen wurden erstmals seit der COVID‑19‑Krise deutlich zurückgeschraubt und die negativen Erwartungen für das Exportgeschäft überwiegen. Damit ist der Ausblick für neue Exportaufträge für den Rest des Jahres deutlich gedämpfter. Im 3. Quartal 2022 dürfte sich das Wachstum der Exporte noch aus den hohen Auftragsbeständen der Vormonate und abnehmenden Materialengpässen in der heimischen Produktion speisen. Im weiteren Verlauf sollten die negativen Folgewirkungen der Russland‑Ukraine‑Krise verstärkt auch auf die österreichischen Warenexporte durchschlagen. Dazu trägt die starke Verflechtung Österreichs mit den MOEL und mit Deutschland, die von der gegenwärtigen Krise besonders betroffen sind, ebenso bei, wie der zu erwartende Produktionsrückgang in der österreichischen Sachgütererzeugung aufgrund der hohen Energiepreise – insbesondere der Erdgaspreise. Verstärkt wird dieser Effekt durch den Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit insbesondere im außereuropäischen Export – gegenwärtig sieht sich die europäische und österreichische Industrie etwa siebenmal höheren Gaspreisen als etwa die USA  gegenüber und Wettbewerbsvorteile für Exporteure durch die Abwertung des Euro wiegen dies kaum auf. Allerdings dürfte der direkte negative Effekt der Energiepreise auf die Sachgütererzeugung in Österreich etwas schwächer ausfallen als in Deutschland, zumal die Erdgasintensität der österreichischen Industrie etwas geringer ist.

Die Prognose geht davon aus, dass es bis 2023 zu keinen behördlichen Geschäftsschließungen aufgrund der COVID-19-Pandemie in Österreich oder in wichtigen Handelspartnern kommt, die die Exportwirtschaft treffen würden. Weiters wird angenommen, dass der Russland-Ukraine‑Krieg anhält und die Sanktionen gegenüber Russland aufrecht bleiben. Von einem vollständigen Erdgaslieferstopp Russlands nach Europa wird nicht ausgegangen, aber die Unsicherheiten insbesondere bezüglich der Preisentwicklung bleiben annahmegemäß und damit bleibt das Niveau der Erdgaspreise hoch. In diesem Umfeld stehen einige der wichtigsten Handelspartner Österreichs vor einer kräftigen Konjunkturabschwächung, die in Deutschland, Italien und den MOEL zur Rezession im Jahr 2023 führen wird. Die Revisionen der internationalen Konjunkturaussichten seit Jahresbeginn sind enorm, sie prägen das Prognosebild aller wichtigen internationalen Organisationen (Europäische Kommission, OECD, IWF, Weltbank) und spiegeln die zunehmenden Verwerfungen des Russland‑Ukraine-Konflikts und die markant gestiegenen Weltmarktpreise von Energie und Rohstoffen wider. Als Resultat der Abkühlung der Weltkonjunktur 2023 sollte die Problematik von Engpässen in den Lieferketten abebben. Entspannung ist auch bei den Frachtraten im internationalen Transport sowie bei den Preisen für Rohöl und Industrierohstoffen zu erwarten.

Unter diesen veränderten Rahmenbedingungen wird die österreichische Exportdynamik vor allem zu Jahresende 2022 stark abnehmen, aber gestützt durch die außerordentlich gute Entwicklung im ersten Halbjahr 2022 zu einem Jahreszuwachs der Warenexporte von rund 8% führen und damit fast das Wachstum aus dem Vorjahr erreichen (2021: +9,3%). Die Importpreise steigen im Jahr 2022 mit 10,0% deutlich stärker als die österreichischen Exportpreise (+5,9%). Die hohen Weltmarktpreise für Rohstoffe, Energie und Vorleistungsgüter bewirken damit einen stark negativen Terms-of-Trade-Schock, der durch die Abwertung des Euro noch verstärkt wird. Dadurch wird die österreichische Handelsbilanz im heurigen Jahr mit einem negativen Preiseffekt von rund
8 Mrd. € belastet. Positive Mengeneffekte durch einen geringeren Anstieg der Importmenge als der Exportmenge dämpfen diesen negativen Effekt, sodass sich die Handelsbilanz 2022 insgesamt um 4,3 Mrd. € auf ein Defizit von rund
17 Mrd. € verschlechtern dürfte.

Im Jahr 2023 erreicht das österreichische Marktwachstum auf Basis der schwachen internationalen Importprognosen für die Handelspartner nur rund 0,4%. Vor allem die trüben Konjunkturaussichten für die wichtigsten österreichischen Exportmärkte im Euro‑Raum und die zunehmende Verschlechterung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit machen das Halten von Marktanteilen vor allem in energieintensiven und wichtigen Teilen der österreichischen Exportindustrie (Chemie, Stahl, Papier) immer schwieriger. Die Warenexporte im Jahr 2023 stagnieren, ebenso wie die Importe.
Die Terms-of-Trade, also das Verhältnis der Export- zu den Importpreisen, werden sich 2023 weiter verschlechtern, in deutlich geringerem Maße als im heurigen Jahr, dennoch bleiben die negativen Preiseffekte der Hauptgrund für die weitere Erhöhung des Handelsbilanzdefizits im Jahr 2023 um 2,6 Mrd. € auf 19,7 Mrd. €.

Autorin:  Dr. Yvonne Wolfmayr

ist Senior Economist im Forschungsbereich "Industrieökonomie, Innovation und internationaler Wettbewerb" und seit 1992 am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) tätig. Von 2013 bis 2016 war sie Stellvertretende Leiterin des WIFO. Das Studium der Volkswirtschaftslehre absolvierte sie an der Universität Wien und promovierte and der Universität Innsbruck. Auslandsaufenthalte an renommierten Universitäten in den USA (University of California, Los Angeles, und Stanford University) begleiteten ihre Laufbahn seither. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der empirischen Analyse internationaler Handelsfragen, einschließlich ausländischer Direktinvestitionen. Die Erstellung der Außenhandelsprognose zählt zu ihren regelmäßigen Aktivitäten am WIFO.


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